Manuela Friedrich- Jugendliche
Chris und ich haben uns schon eine halbe Stunde vor Schulbeginn vor der Schule getroffen, um- ok, ich geb es zu, um ungestört zu knutschen. Mir fällt ein, dass Caro ja heute wohl ihren ersten Schultag hier hat und "befehle" Chris, nach ihr Ausschau zu halten. Es ist schließlich fünf Minuten vor Schulbeginn und ich frage mich so langsam, ob sie überhaupt kommt, da sehe ich sie auf der anderen Straßenseite.
"Huhu! Caro!", rufe ich ihr zu, aber sie hört mich nicht. Ist ganz in Gedanken versunken. Und so geht sie auch noch über die Straße!
Mann, weiß die denn nicht, dass die Straße mordsgefährlich ist? Nein, woher soll sie das auch wissen, es ist ihr erster Tag hier. Ich werde sie nachher gleich warnen, dass sie das nicht mehr tun sollte.
Mitten auf der Straße reißt auch noch ihre Tasche und sie bückt sich.
Sie sieht auch nicht das Auto kommen, das mit mordsmäßiger Geschwindikkeit heranraßt- wenn der 30 fährt, dann fress ich nen Besen- und dessen Fahrer TELEFONIERT und seinerseits nicht auf die Fahrbahn schaut!
"Vorsicht!", rufe ich Caroline laut zu, aber sie hört mich nicht!
Total verzweifelt renne ich auf sie zu, stolpere, falle auf den harten Boden. Mir wird schwarz vor Augen, ich höre einen Knall. Plötzlich ist es totenstill. Im wahrsten Sinne des Wortes. Ich wage es nicht, aufzusehen und bleibe mit dem Gesicht zum Boden liegen.
Schließlich bricht das Chaos aus- überall Stimmen durcheinander, ich höre die Tür eines Autos schlagen, das Fahrer muss wohl ausgestiegen sein und alarmiert einen Krankenwagen. Ein riesiger Tumult, ich kann das alles nicht ertragen, fühle einen pochenden Schmerz im Knie. Störrisch schaue ich auf den Boden; irgendwann höre ich einen Krankenwagen, ich spüre, wie Chris´Hand sich auf meine Schulter legt.
Ich vermeide jeden Blick auf die Straße, ich weiß, Caro liegt jetzt da und ich weiß, sie ist tot. Vorsichtig hilft mir Chris auf, als wäre ich aus Glas, und ich glaube, das bin ich in diesem Moment auch.
Ich spüre noch eine andere Hand auf meiner Schulter, die Hand der Schuldirektorin, sie bringt mich in ihr Büro, bringt mich weg von der toten Caro und von dem Chaos.
Ich weiß, ich werde viele Fragen beantworten müssen, weil ich es gesehen habe. Ich spüre, wie sich in meinem Kopf die Gedanken überschlagen, ohne, dass ich einen einzigen zu Ende bringe. Ich kannte Caroline kaum, aber ich habe vom ersten Moment an gespürt, dass sie ein lieber Mensch ist und ich weiß, dass sie eine der letzten ist, die es verdient hat zu sterben. Ich hätte sie gerne näher kennengelernt...